Ein Jahr. (Plan B)

Vor einem guten Monat hat meine Chefin gekündigt. Nachdem ich mich Ende Oktober 2018 von meiner liebsten Arbeitskollegin verabschieden musste, weil auch sie zu einem anderen Unternehmen gewechselt hatte, traf mich diese weitere Ankündigung etwas überraschend. Ich haderte. Vor allem mit der Vorstellung, was resp. wer denn nun kommen möge.

Dieses „wer den nun kommen möge“ hat mich veranlasst, mir sogar zu überlegen, ob ich mich für diese Stelle bewerben soll. Ich war dann vernünftig genug, mich nicht für eine Position zu bewerben, wo mir doch meine Stelle viel mehr Spass macht, als diese Stelle „oberhalb“ von mir. Ich war vernünftig genug, mich nicht für eine Position zu bewerben, nur um eine möglicherweise unangenehme Nachfolge zu verhindern. Ich war vor allem auch vernünftig genug, mir nicht noch mehr Arbeit aufzuladen. Allerdings habe ich mir überlegt, dass es da so zwei, drei Kandidaten*innen geben würde, die zu einer umgehenden Kündigung führen würden.

Für den Fall eines no-go jefe/jefa (Wer schon mal einen stark narzisstisch geprägten jefe/jefa hatte, weiss wovon ich schreibe) schrieb ich mir also eine Liste, was ich denn tun würde. Denn es war mir sofort klar, dass ich eine Pause bräuchte. Ein Jahr Pause, um genau zu sein.

Liste für ein Jahr ohne Beruf:

  • einen Pop-up Store führen – 2, 3, maximal 4 Monate
  • jede Zeitschrift der Schweiz bitten, mir als Journalistin einen Artikel anzuvertrauen (haha, das sind gerade mal so zwei drei Zeitschriften…)
  • eine private Webseite für meine Stadt designen – und Stadtgeschichten schreiben und eine Tavolata initialisieren
  • ein Start-up finden, und mit einem „Gründergeist“, einem Herzblut, an eine Sache rangehen, wie du sie heute in langjährigen Unternehmen häufig nicht mehr findest
  • Golfen lernen (lustig nich?)
  • mein Französisch aufbessern – in Paris? (Da war ich schon mal drei Monate) (was mache ich mit dem Teenager…? – mitnehmen!)
  • reiten lernen (illusionär, mein Respekt runterzufallen ist viiieeel zu gross)
  • die Lizenz für das Grafikprogramm Indesign für ein Jahr kaufen
  • … und ein Rezeptbuch (für meinen Teenager) schreiben und
  • … richtig schöne Fotos davon machen
  • endlich die Innenrenovation des Hauses angehen
  • auf einer Töpferscheibe töpfern
  • mal wieder alles wirklich ausgrümpeln (inkl. Keller – ein Glück hab‘ ich keinen Estrich – Flachdach sei dank)
  • meine Mam öfter besuchen
  • Mountainbiken unter der Woche – vielleicht an den See
  • … im See baden unter der Woche – hin und wieder mit dem SUP an den See
  • lernen Gin zu destillieren, regional mit meinem Städtchen verbinden und vermarkten (als Projekt, Stichwort „Gründergeist“ und „Herzblut“)
  • Personen zu kontaktieren, von denen ich etwas lernen möchte – aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Berufen (Mut haben!)
  • das Wirtepatent machen (grins)
  • „lernen“ in einem Improvisationstheater mitzuspielen (anundpfirsich*)
  • ein Buch schreiben (meine Güte, wie viele Menschen doch diesen Traum haben, gerade war ich mit einem Arbeitskollegen Mittagessen, den ich sonst nur an Sitzungen kreuze… und lerne, dass er schon zig Bücher begonnen hat…)
  • inspiriert von meiner „liebsten ex-Arbeitskollegin“ eine Spanierin suchen, die eine Stunde pro Woche mit mir spricht
  • als Clownin mal auf die Strasse gehn‘ und spontan Passanten verblüffen und ein Lächeln ins Gesicht zaubern (mit einer erfahrenen Strassenclownin) – ohne finanzielle Interessen
  • Zeit haben
  • die Sonne geniessen und den Vögeln zuhören
  • ein riesiges Bild malen (im Farbenrausch sozusagen)

Was soll ich sagen? Es wurde kein „no-go“ jefe gewählt. Bin ich jetzt glücklich oder was? (Müller, wo bist du??) Sagen wir es so: Es wäre wahrscheinlich viel einfacher gewesen, als das, was ich jetzt nicht mehr los werde. Eine Liste, Ideen die mich verfolgen und nicht mehr in Ruhe lassen. Innere Stimmen die sich streiten, täglich gewinnt eine andere (kaum gewonnen mobilisiert sich die Gegenstimme…) und – überall Zeichen! Noch nie gab es so viele Zeichen, überall, die mir alle sagen wollen: Mach’s! (kündigen) Arbeite nicht so viel!

Hm. OK. Und was mach ich jetzt draus? (einer der Botschaften des Gastreferenten an der Tagung – Geduld Geduld, das kommt weiter unten)

Der Gipfel der Zeichen ist das Buch (unbeauftragte und unbezahlte Werbung!) „Was man von hier aus sehen kann“, das ich rein zufällig gerade lese. Natürlich rein zufällig. Genauso zufällig spreche ich an einer Tagung mit einer Person, die mir dann sagt: „Mach’s! Ganz viele Menschen kommen in ihrem Leben an diesen Punkt, wo sie beinahe, beinahe, eine Veränderung machen. Und dann eben doch nicht. Mach’s. Und vertraue darauf, dass es gut kommt.“ (Wenn ich nur wüsste, was genau!)

Der Punkt: Ich kann nicht loslassen. Denn, meine Arbeit macht mir ja Spass. Ich habe das „beste Team der Welt“ zusammenwachsen lassen. Ein weiterer Punkt: Ich finde einen Plan B cool – offensichtlich aber nur, wenn es nicht mich betrifft. Hart aber wahr. Eine Freundin hat einen Plan B gemacht: Nach jahrelanger Tätigkeit in einem Unternehmen hat sie Ende 40 eine Ausbildung zum Hufschmied gemacht – als Pferdenärrin. Ich erinnere mich noch an meine Worte an sie: „Ich wollte, ich hätte auch einen Plan B.“ Sie dann: „Ja der Verdienst ist halt nicht mehr so gut“.

Plan B ist immer mit einer finanziellen Einbusse verbunden. Mindestens am Anfang. Und mit Unsicherheit. Will ich einen Job aufgeben und einen anderen Job aufnehmen, um noch einen Drittel meines früheren Jahresgehalts zu verdienen? Wenn dieser alte Job mir ja immer noch Freude macht, mir aber nicht alle – möglicherweise illusionären Vorstellungen – erfüllt? Ich merke etwas zerknirscht: Ich bin auch „Geld-gesteuert“. Und, einem Teil meiner Persönlichkeit bedeutet Status was, oder anders gesagt, ich definiere mich auch über meinen Beruf und mein Einkommen. Hart aber wahr.

Ich bin ja da. Nur gäbe es dafür mehrere Möglichkeiten. Wirklich? Und will ich die?

Übrigens das Buch. Das ist ein ganz leises, feines, zartes Buch. Man darf das auf keinen Fall lesend verschlingen (diese Tendenz habe ich definitiv), weil sonst die wundersame Sprache überlesen wird. Auf der Rückseite des Buches steht in grossen roten Lettern: „Von der unbedingten Anwesenheitspflicht im eigenen Leben“. Ich sag’s ja, überall Zeichen. Kann das bitte aufhören? Oder doch nicht?

Hopp und rüber zum Samstagsplausch von Anrea Karminrot und zum Wochenglück von Fräulein Ordnung.

PS. 
„Hasi?“
„Jaaaaa?“
„Wolltest du nicht noch vom Gastreferat an der Tagung berichten? Wie einer der Gründer der on Laufschuhe* sein start-up Unternehmen und seine Erfolgsgeschichte vorgestellt hat.“
„Ja, das hat mich sehr beeindruckt. Ich dachte an einem Punkt gerade so: Boah, bei dieser Firma muss ich mich bewerben. Hier spüre ich „Gründergeist“ und „Herzblut“. Drei Minuten später erwähnt er, dass sein Unternehmen gut 1500 Bewerbungen pro Monat bekommt… .“
„Und?“
„Ich hab‘ nachher in der Pause Tränen gelacht, als ich mich mit der Person unterhalten habe (und habe so nebenbei der Person selbst auch einen grandiosen Lachanfall beschert – mein Lachen ist ziemlich ansteckend. Herrlich!). Mein Gedanke fühlte sich definitiv an wie Kleinmädchenillusioneningross“.
„Ja, du bist immer noch schwer alterspubertär.“

*unbeauftragte und unbezahlte Werbung (gähn, ist dieser Satz langsam langweilig)


8 Gedanken zu “Ein Jahr. (Plan B)

  1. Oh, ich stehe so neben dir! In meinem jetzigen Dasein bin ich unglücklich Glücklich und weiß im Grunde auch nicht, wie ich, ob ich, überhaupt und sowieso, meinen Plan B jemals verwirkliche. Und Plan B? Immer wieder eine neue Entdeckung. Vielleicht sollte ich es auch mal professionell machen und eben so eine Liste erstellen…
    Grüßle
    Andrea

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    1. Liebe Andrea, ich erstelle aktuell sogar eine Sortimentsliste für (m)einen Pop-up Store… und während ich das schreiben muss sogar ich lachen… Herzlich, Sibylle

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  2. Eine wunderbare Plan B-Liste! Nun überlege ich mir, auch so eine zu schreiben! Für ein Jahr wäre sie wahrscheinlich sogar viel zu lange… Aber wer sagt schon, dass nach einem Jahr nicht schon längst „Plan C“ daraus geworden ist…? Wieso bin ich noch nicht auf diese Idee gekommen?

    Auch ich habe vor einiger Zeit – allerdings völlig unangekündigt von einer Minute auf die Andere – eine neue Chefperson bekommen – das Arbeitsleben wurde ziemlich auf den Kopf und völlig in Frage gestellt. Zwar habe ich mir damals gesagt: Auch ein „Kick raus“ wäre vielleicht ein Glück für mich, welches ich sonst nie wagen würde (eben auch: nettes Team, interessante Arbeit, guter Verdienst) Aber konkret habe ich mir keinen Plan B gemacht – schade, das wäre sicher motivierend gewesen! Stattdessen bin ich geschwommen, habe gekämpft (auch mit mir), habe „überlebt“… – und in der Zwischenzeit im Job erfahren, dass auch ein „geknickter Plan A“ unerwartet viel Gutes bringen kann, man muss nur seine Wünsche anbringen (wie sollte sonst jemand davon erfahren!) und Chancen ergreifen.

    Ein bisschen verstehe ich deshalb auch Dein leises „Bedauern“, dass der Plan B doch nicht ausgelöst wurde – was wäre sonst wohl alles Tolles möglich geworden, welche Abenteuer, Freuden und Glücksfälle hätten sich sonst geboten? Ach, ich bin halt ein Gewohnheitstier, bequem und auch ein wenig ein Schisshas.

    Genau deshalb werde ich nun meine Plan B – Liste schreiben: wer weiss, vielleicht wird deren Kraft irgendwann stärker als die Angst und Gewohnheit?

    Egal, welcher weitere (Berufs-) Weg sich bei Dir ergibt, wünsche ich Dir alles Gute dafür und danke für die Inspiration!
    Liebe Grüsse, Miuh

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    1. Hallo Miuh, schreib diese Liste unbedingt. Ich bin sicher, du löst etwas aus damit. Bei mir ist das auf jeden Fall so. Ich bin echt gespannt, was die Liste noch alles mit mir macht. Liebe Grüsse, Sibylle

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  3. Gibt es denn die Option „Urlaub“ nicht? Ich glückliche Frau hatte ein halbes Jahr Bildungssemester und habe mir ein weiteres halbes Jahr unbezahlt gegönnt. Es war der Hammer, ich habe soviel neuen Auftrieb erhalten. Die Zeit davor war schon ein Gewinn und die Zeit danach auch, obwohl ich fast meinen Job verloren hätte …

    Ich habe mir auch einen Plan B zurückgelegt, wenn dann der Chef in drei Jahren pensioniert wird und je nach dem jemand kommt, mit dem ich nicht weiterarbeiten möchte. Liebe Grüsse von Regula

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    1. Hach, ich bin mitten im grössten je gestarteten Projekt alterspubertär. Das zieht sich noch sicher bis Ende 2020 hin… jetzt grad‘ fühl ich mich sehr getrieben zu agieren… ich schreibe sicher wieder darüber. Einen schönen Sonntagabend, liebe Grüsse, Sibylle

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  4. Einen Plan zu haben ist grundsätzlich super! Hatte ich – ich wollte in meinem Beruf noch einiges wuppen … und dann kam die Ungesundheit dazwischen. Sie hat mich vor Tatsachen gestellt, vor Verdiensteinbußen und auch seelisch mich durcheinander gewirbelt. Inzwischen habe ich mich in meinem ungewollten Plan B eingerichtet, Versuche Vieles und lerne Neues, komme mit weniger Geld aus und fühle mich durchaus wohl.
    Zurück, nein … geht nicht Pläne machen … immer wieder
    Liebe Grüße
    Ivonne

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    1. Hallo Ivonne – ja, in die Vorsorge gehen natürlich auch Gedanken… ich wünsche dir einen schönen Sonntagabend – und happy birthday dem „wohl besten Welpenonkel“ :-). Liebe Grüsse, Sibylle

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